»Geschichte schreiben heißt, Jahreszahlen ihre Physiognomie geben.«

Walter Benjamin (1892 bis 1940), Literaturkritiker und Übersetzer

Heute greife ich sehr gern mal wieder eine Anregung einer Leserin auf. Es geht darum, Jahres- und andere Zahlen in Texten sinnvoll unterzubringen. Als Beispiel dafür, wie es nicht so günstig ist, führte die Leserin eine Konstruktion wie diese an:

Fast 60 Jahre lang hatte XY geschwiegen, ehe sie sich 2005 Journalisten anvertraute.

Das Hirn ist ein Gewohnheitstier: Wenn auf eine Zahl etwas Zählbares folgt, nimmt es diese Verbindung dankbar an, noch bevor es merkt, dass die beiden Teile gar nicht zusammengehören. Gerade bei Jahreszahlen lohnt es sich deshalb besonders, auf die Satzstellung zu achten.

Manchmal reicht es schon, »im Jahr« (bitte nicht einfach nur »in«!) voranzustellen, um mehr Klarheit zu schaffen. Das wäre auch hier der Fall. Eine andere Variante ist, die falsche Verknüpfung zu verhindern, indem man etwas zwischen die beiden Teile stellt (hier zum Beispiel: »… ehe sie sich 2005 den beiden Journalisten anvertraute.«).

Unübersichtlich wird es auch, wenn in einem Satz mehrere Zahlenangaben direkt aufeinander folgen. Schauen Sie mal:

Für die Studie wurden im Jahr 2020 3500 Personen befragt.

Da nützt auch ein vorangestelltes »im Jahr« nichts. Solche Satzkonstruktionen entstehen eher selten direkt beim Schreiben, weil sich das Störgefühl dann sofort meldet. Sie kommen aber erstaunlich häufig in Texten vor, die mehrfach umgebaut wurden, denn da verliert man leichter mal den Überblick. Wie so oft rate ich auch hier dringend, etwas Abstand zu gewinnen: Umgebaute Texte am nächsten Tag noch einmal mit frischen Augen anzusehen oder von einer Kollegin oder einem Kollegen gegenlesen zu lassen, fördert oft erstaunlich Offensichtliches zutage.

© Juliane Topka 2021
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